Jacob Karlzon – Jazz-Meeting
Jacob Karlzon: Wanderlust
Musikalische Expeditionen, anmutig, fließend und tief emotional-bewegend, bündelt Jacob Karlzon auf seinem neuen Album „Wanderlust“. Die Schönheiten seiner Piano-Melodien und -Harmonien sind wie Psalme, wie Gesangslinien, die aus reicher Kompositionshistorie schöpfen, und sich doch ganz dem Jetzt zuwenden. „Wanderlust“ atmet Hoffnung und Abenteuer, die Musik öffnet Räume für Liebe und Diskurs, für Spontaneität und Struktur – zeitgemäß und zeitlos zugleich.
Die Reise, zu der Jacob Karlzon mit seinem neuen Album anstiftet, beginnt bereits im Titel: „Wanderlust“. Aus den beiden deutschen Wörtern Wandern und Lust zusammengesetzt, wird „Wanderlust“ im Englischen als Umschreibung für Fernweh oder Reiselust genutzt, ohne gänzlich eindeutige Bedeutung in sich zu tragen. Ein Begriff wie gemacht für den schwedischen Pianisten und Komponisten Jacob Karlzon, der sich der Musik überaus bedächtig, mit jedem neuen Album geradezu demütig nähert. Wohlweißlich, denn für ihn steht jedes Mal nicht weniger als deren Verteidigung gegen das Verbrechen Trivialisierung auf dem Spiel. Dem Undefinierbaren der Musik, ihrer Appelle ans Unterbewusstsein, an Seele und Geist, Menschlichkeit und Empathie, fühlt er sich seit seinen ersten pianistischen Versuchen in Kindertagen verpflichtet. 1970, gleich zu Beginn eines Jahrzehnts geboren, dessen musikkulturelle Errungenschaften bis heute allenthalben nachhallen, entdeckte er das Beseelte in unterschiedlichen Formen zeitgenössischer Musik. Fest in Karlzons DNA verankert, fanden teils disparat wirkende Tonkunst-Quellen eine charakteristische Bündelung. Das Erzählerische, die liedschreibende Komponistenhandschrift, der es ein Anliegen zu sein scheint, außerhalb ihrer Jazz-Heimat immer wieder neu anzuknüpfen, ist typisch Jacob Karlzon. Fragt man ihn nach seiner Selbstdefinition als Künstler, antwortet er: „Alternative Musician“. Das ist bewusst schön ungenau formuliert, denn nichts schränkt einen Freigeist wie ihn mehr ein als die Kapitulation vor dem Zwang zur unbedingten Genre-Definierbarkeit seiner Kunst. Karlzon spielt Jazz, denkt Rock, spricht mittels der Tasten seines Steinway-Flügels wie ein Philosoph – musikalisch anspruchsvoll und höchst einladend.
Wer den ersten Noten des Eröffnungsstücks von „Wanderlust“ lauscht, wird eine Neudeutung der „Open Waters“-Sprache finden. Über einem zunächst zurückhaltend platzierten, elektronischen Beat erhebt sich ein kontemplatives Piano-Motiv, das im Verlauf zunehmend an herzzielender Intensität gewinnt. Die Pulse legen an Erkennbarkeit zu, bevor ein improvisierter Piano-Part aus der Struktur ausbricht und metrenstark ins Prog-Rock-artige Crescendo führt. „Art Of Resistance“ hat Karlzon die Einführung in sein neues Album genannt. Der Name des Stücks ist Programm. Es geht um Widerstand, um Musik als Opposition zur allgegenwärtigen Unterdrückung individueller Ansichten und Bedürfnisse. Es geht, kurzum, um Liebe. Liebe als ultimativer Ausdruck von Widerstand? „Bevor das Stück seine finale Form bekam, dachte ich viel darüber nach, wie offensichtlich die Demokratie auch in einigen europäischen Ländern stückweise demontiert wird“, beschreibt Jacob Karlzon den Entstehungsprozess des Songs, der sich wie ein Fazit des kompletten Albums ausnimmt. „Es gab in unseren Breitengraden jüngst eine Menge Beispiele für autoritäre Verbotsversuche zu beobachten, gegen die wir alle aufstehen müssen. Einer Form von Unterdrückung folgt meist eine weitere, die letztlich uns alle einschränken kann.“ Jede musikalische Schichtung bis zur Mitte des Stücks steht für das Ringen um persönliche Freiheit im Angesicht doktrinärer Fesseln. Wenn Rasmus Kihlberg am akustischen Schlagzeug und Bassist Morten Ramsbøl ins Geschehen eingreifen, erhebt das Individuum schließlich seine freie Stimme als Gegengewicht zu repressiven Kontrollversuchen. Karlzon will „Wanderlust“ dennoch nicht als politisches Statement verstanden wissen. Der tiefgehende, gleichzeitig resolute Gehalt der 12 Stücke darf allerdings sehr wohl als Weckruf zur sinnlichen Erfahrung von Menschlichkeit wahrgenommen werden. „Wanderlust“ trotzt lustbetont allzu einfachen, dividierenden Formeln.
Dem (Selbst-)Versöhnlichen zugewandt, markiert „Wanderlust“, im vergangenen Jahr entstanden, auch Karlzons einwärts gerichtetes Unterwegssein. Vom Mikrokosmos aus richtet er im beständigen Mäandern der Musik zwischen Feinmotorik und profundem Statement, seinen Blick auf den Makrokosmos, und umgekehrt. „Wir Menschen sind interessante Wesen“, formuliert er rückblickend sein Situationsempfinden. „Steht uns alles offen, fehlen uns mitunter Strukturen. Fühlen wir uns eingeschränkt, beginnt unser Geist damit, Wege um Rahmenbedingungen herum zu suchen. Nelson Mandela ist ein gutes Beispiel für die Neuverdrahtung des Gehirns während seiner Dekaden andauernden Gefangenschaft. Er war ein Radikaler als er eingesperrt wurde, und kam als Symbol fürs Versöhnliche aus dem Gefängnis.“ Das Fragile unserer Existenz im Blick, spielt der norwegische Trompeter Mathias Eick im Verbund mit Karlzons Trio dem Mysteriösen des menschlichen Wesens in „Lullaby For Runaways“ zu. Eine Gruppe von Streichern mehrdimensioniert das elegische „Promises Kept“, dem Dominic Miller als Stimme der Hoffnung an Nylonsaiten beiwohnt. In Teilen kantiger als sein letztes Album „Open Waters“ arrangiert, setzt Karlzon bisweilen Schönheit in den Kontext des genauen Gegenteils. Die daraus gewonnene Energie schlägt sich im selbstverliebt-paradierenden „Your Latest Comeback“ in musikalischem Humor nieder. Ein Schelm, wer dabei an die Marktschreier unserer Zeit denkt! Dank Jacob Karlzons immenser narrativer Kunstfertigkeiten, ist „Wanderlust“ von der ersten bis zur letzten Note eine Geschichte über Humanität, das Leben, die Freiheit und die konstruktive Kraft des menschlichen Geistes – angetrieben von pulsierender Magie, die reichlich Nachhall findet.
Videoclip „Subject To Change“:
www.youtube.com/watch?v=FKW8gOB8ROA
Videoclip „Promises Kept” (feat. Dominic Miller)
www.youtube.com/watch?v=UpTNUzPn0U4
Videoclip „To The Moon And Back“:
www.youtube.com/watch?v=nPY7IGFZKs0
Videoclip „Lullaby For Runaways” (feat. Mathias Eick)
www.youtube.com/watch?v=BncEKALg3AE
Videoclip “Steps and Stages”
www.youtube.com/watch?v=dQgxdWS_8yo
Weitere Infos zum Künstler: www.jacobkarlzon.com