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Ausschnitte aus dem Pressetext der Ausstellung Galerie Art & Henle
02.11.20002 bis 07.12. 2002 :
Fischer zeigt in großen und kleinen Formaten auf mehrfach verschachtelten Bildebenen fragmentarisch Momente der Bewegung, der Bewegungsrichtungen und -ziele, Elemente von Innen- und Außenräumen, Zeit und Raum. Elemente, die unser Leben im Wesentlichen bestimmen.
Er arbeitet mehrschichtig mit Öl, Acryl und Fotocollage und den
Kombinationen der möglichen Techniken dieser Materialien. Seine Farben verwendet er mal zart und sparsam mit organischer Körperhaftigkeit, dann wieder satt deckend und graphisch. Manche Darstellung ist leicht gleich einer Zeichnung oder einem Aquarell, andere Arbeiten sind tektonisch bildhaft und schwer. In vielen Werken verbindet er unterschiedliche Techniken. Dies entspricht kongenial der Vielfalt der unterschiedlichen hinterlassenen Spuren seiner Protagonisten und ihrer Erzählebenen.
Die Bilder setzen sich aus fragmentarischen Sequenzen zusammen, abbildhaften und formal-abstrakten. Fischer zeigt menschliche Haltungen und Bewegungsstadien, Transformationen, Beine und Arme, die gleich einem rollenden Wolleknäuel durch den Raum traben, Figurendarstellungen zwischen vielschichtigen lyrischen Erzählebenen, Bildcollagen von Menschenmengen in linearen und flächigen Formengebilden mit rätselhafter Dynamik. Quellen vieler Bilder sind Dokumente, Zeitungen und Fotografien, Texte, Musik und Erinnerungen, ohne das seine Darstellungen dokumentarisch werden. Wir sehen Alltagsrequisiten, natürliche Landschaften und architektonische Räume, in deren Zentrum wir immer wieder mit dem Mensch konfrontiert werden. Mal fragmentarisch in reiner Form, mal als modellierte psychische Seelenstudie….
Den figurativen Anteilen fügt Fischer die formalen bei. Architektonische Andeutungen von Türen, Fenstern, Säulen, Böden und Wänden lassen seine Protagonisten Räume durchwandern. Mal öffnet eine Figur einfach einen Vorhang und verschwindet in eine andere abstrakte Welt. Perspektive und Dimensionen sind verrückt.
Der Mensch ist das Zentrum seiner Arbeiten. Ihn hat er aufs Korn genommen. Doch er erklärt uns nicht seine Deutung, sondern lässt uns hierfür Freiraum. Seine Spuren bilden Teile einer Geschichte über den Menschen, die uns wie in einer Traumsequenz mit Brüchen und Sprüngen, gleich einem ungeordnetes Puzzle, einem wilden Spurenschatz von Mensch und seiner Umgebung präsentiert wird. Es bleibt Raum für Geheimnisse. Wir dürfen selber auf Jagd gehen und Spurenlesen. Ob und wie wir sie deuten, bleibt uns überlassen.
Stephan Heile
Publikation im Magazin „Schöngeist“ September 2004:
Das Danach ist zugleich ein Davor
Zu den Arbeiten von Pierre Fischer
Colmar Schulte-Goltz
Kunsthistoriker und Kurator, Bochum
In Malerei und Graphik behandelt Pierre Fischer Raumkonzepte und Identitätsfragen, in denen er die Wirklichkeit bespiegelt und Figuren, Orte und Situationen heraufbeschwört, die er nach ihren Zusammenhängen, ihrer Vergangenheit, Wirkung und Bedeutung hinterfragt. Fischer studierte von 1986 – 90 an der Ecole Nationale Supérieure des Beaux Arts, Paris, und erlangte 1991 die Licence d‘ Arts Plastiques an der Universität Strasbourg. Fischer erweiterte seinen künstlerischen Horizont in Utrecht, NL und Berlin, war Gasthörer bei Konrad Klappheck oder Norbert Tadeusz.
Ästhetisch sind die Bilder des 1968 in Strasbourg, Frankreich geborenen Malers von verstörender, vexierbildartiger Qualität. Objektiv schöne, anziehende Partien wechseln mit irritierend schroffen Sequenzen. Kennzeichen der Malerei von Pierre Fischer ist die collageartige Technik. In mittleren bis monumentalen Formaten werden Ebenen übereinander gelagert und in unterschiedlichen Maltechniken reizvoll von einander abgesetzt. Fischer verwendet für seine Arbeiten Öl, Acryl, Lack, Farbspray und Schablonen sowie Fotocollagen. Parallel entstehen Radierungen und Zeichnungen auf Papier und Gipskartonplatten.
Häufig erscheinen die Gemälde unfertig, nebeneinander werden mit großer malerischer Delikatesse ausgeführte Partien von Flächen gesäumt, in denen sich der Bildgrund im Rohzustand präsentiert, und die eben geschaffene Illusion als „Fake“ überführt. Malerei, flächige und graphische Elemente machen Zugeständnisse an die Bildsprache der sechziger Jahre oder sogar an den sozialistischen Realismus, dessen Figuren. Alle Arbeiten bestimmt eine Wirkung des Objektiven. In pseudodokumentarischer Manier bedient sich Pierre Fischer einer Reportrageartigen Anordnung. Dabei benutzt Fischer fragmentarische Sequenzen und Ausschnitte aus berühmten Pressefotos oder Werbekatalogen. Figuren erscheinen verzerrt, in Metamorphose, Menschen mutieren in tierischen Formen, manchmal lösen sich ihre Umrisse ganz auf.
Man ist versucht die Figuren miteinander in Beziehung zu setzten und das Rätsel zu entwirren, die teils kriminalistischen Aufgaben zu lösen. Häufig erscheinen die Arbeiten wie die Dokumentation polizeilicher Ermittlungsarbeit. Fast alle Arbeiten Fischers sind Reflexionen über die Zeit. Bestimmte Elemente wiederholen sich, werden transformiert; erscheinen als Bilder vom Bilde und fordern die Erinnerung der Betrachter heraus. Fischer selbst vergleicht seine Bilder mit einem Arbeitstisch, auf dem Materialien gesammelt sind. Einzelne Papiere sind gut sichtbar, andere werden teilweise verdeckt.
Inhaltlich geht es Fischer um die Interpretation essentieller Alltagserfahrungen in den Verhältnissen von Mensch und Gesellschaft. Dabei behandelt er besonders den Faktor der Inszenierung des Lebens, des Raumentwurfs, der auf das Persönlichkeitskonzept schließen lässt. Fischers Bilder sind wie Bühnen, auf denen der Künstler die Schnittstelle von Privatem und Öffentlichem inszeniert. Aus der Wahrnehmung der Umgebung leitet Fischer emblemartige Tableaus ab, die sich im Sinne moderner Historienmalerei als aktuelle Chronik zur Zeitgeschichte gestalten. Die aus Zeitungen und Journalen gefilterte Historie der Medien wird abstrahiert und zu einer Allegorie von dem was man geträumt hat, teils sehr präzise und doch nicht real. Elemente der Gegenwart, wie Autobahnen oder Windräder werden zu Schiffren der Wahrnehmung, die Fischer stets sehr assoziativ angeht. Trotz der scheinbar kalkulierten Anmutung der Gemälde, ist der Ausgang jeder Arbeit nicht klar. Fischer überarbeitet seine Leinwände ständig. Das Ziel der Bilder, die geheimnisvolle Auseinandersetzung mit Dingen und Situationen fordert zuerst den Maler und dann den inneren Dialog der Rezipienten heraus.
Die Arbeit „Große / kleine Fische“ (2003) ist typisch für die vielen Facetten in Fischers Arbeit. Das zentrale Motiv des Grüßens bezieht sich auf die Phänomenologie des Alltags. Es betrifft nicht nur eine zwischenmenschliche, sondern vor allem eine politische Dimension. Das Händereichen dient dem Schutz der Es ist aus der
Die Etikette ist Schutz der Personen. Das Händereichen ist auch eine traditionsreiche Allegorie auf den Frieden. Es handelt sich um ein politisches Bild, dessen Inspirationsquelle ein Zeitungsbild war. Fotografien vom Händereichen und von winkenden Politikern und Staatsoberhäuptern gehören zum sich stereotyp wiederholenden Motivprogramm des modernen Lebens. Politische Bilder bleiben sich in der allgemeinen Wahrnehmung in Form und Erscheinung gleich, der Erkenntnisgewinn ist nicht immer neu.
In diesem Bild lotet Fischer viele technische Möglichkeiten aus. Auch hier arbeitet er malerisch, räumlich, graphisch-linear und abstrakt, realistisch und surreal. In der Tat pflegt Fischers Malerei keine Illusion, es gibt fast gar keinen Raum, die Raumgesetze selbst sind aufgehoben, wenn Fischer gegen die illusionistische Wirkung arbeitet und im rechten Teil des Bildes zwei Bildformate mit den Rahmenecken gegeneinander stoßen lässt. In der Mitte des gleichen Bildes erscheint unten eine Abbreviatur von Bäumen.
Die aufgezeigte stilistische Vielschichtigkeit der meisten Arbeiten von Pierre Fischer ist kompositorisch und farblich akzentuiert. Wenn die Begegnungen der Menschen und die Überlagerung zweier Flugzeuge zu sehen sind, überlagern sich lichte Pastelltöne und schroffes Schwarz. Pierre Fischer unterstützt so die Irritationen der thematischen Ebene, und lässt die Betrachter seiner Bilder drüber nachdenken, wie Wichtiges und Unwichtiges, Wesentliches und Unwesentliches zu unterscheiden sind.
Pierre Fischer ist ein Maler, der sich Zeit nimmt, Ideen und Bilder zu entwickeln und reifen zu lassen. Sein Interesse an zeitgenössischen Phänomenen in der politischen Wirklichkeit und an journalistischen Bildern führt immer wieder zu Arbeiten die eine Neubelebung des historischen und allegorischen Bildes darstellen. Fischer interessiert sich für die Gesten und das Umfeld der Macht. Leibwächter und Journalisten werden genauso, wie Politiker selber zum Gegenstand seiner Arbeiten ,
Das monumentale Gemälde „Übergänge“ von 2004 stellt ebenfalls eine Kombination unterschiedlicher Szenen in unzeitlicher Zusammenstellung dar. Eine rote Autobahn erschließt das Bild in der Tiefe, in der Ferne, im Gebirge gabelt sie sich zu beiden Seiten. Im Vordergrund bewegt sich eine riesengroße, schemenhafte Frau auf die Betrachter zu. In der oberen Ebene erscheinen andere Figuren auf der Bildfläche, Erwachsen und Kinder sind gleichfalls nur umrisshaft zu erkennen. Von links ragt eine Figur mit gestikulierend ausgestreckten Armen ins Bild hinein, die Handhaltung erinnert an die Figur eines Vogels aus dem Schattenspiel. Wieder einmal kreiert Fischer in seinem Arrangement eine allegorische Sicht auf das Leben, mit der Ausrichtung auf Achsenbezüge von Vorn und Hinten, danach und davor. So ähnelt das Bild einer Reise, auf der man sich über die Zusammenhänge des Lebens Gedanken macht.
Im Zusammenhang der Achsenbezüge ist das bereits angesprochene Bild der „Leibwächter“ noch komplexer. Ist es eine Gruppe von Leibwächtern, oder handelt es sich um das Simultanbild des Bewegungsablaufes einer einzigen Figur von links nach rechts? Über den Personenschützern ist eine weitere, von einer Katze begleitete Figur dargestellt ist, die nach oben schaut. Dieser Teil des Bildes erschließt sich erst auf den zweiten Blick, da das Motiv auf dem Kopf steht. Wie bei der Arbeit „Noir“ ähnelt die Wirkung einem assoziativen Traumgeschehen, zu der das Dunkel der Nacht eine besonders gute Folie verleiht.
Die französische „Katzenwiege“ entspricht dem deutschen „Schweinchen auf der Leiter“. Im gleichnamigen Bild von 2003 erscheint eine große Frau im schicken Kurzmantel. Die Businessfrau scheint gerade in einen anderen Raum zu wechseln. Sie erscheint vor einer weißen Quadratischen Fläche mit der Silhouette einer Baumkrone. Darunter halten in einem nahsichtig angelegte Bereich halten zwei Hände die Fäden des Kinderspiels. Ist es ein Rettungsnetz für die Frau? Hinter der zentralen Frauengestalt erscheinen zwei Figuren wie in einer Art Schwebezustand. Sie scheinen auf ihrer Achse beweglich wie die Figuren eines Tischkickerspiels, die von fremder Hand gelenkt werden. In dieser Arbeit entwickelt Pierre Fischer eindrucksvoll malerische und graphische Qualitäten.
Rätselhaft ist auch das Gemälde „Secret“ aus dem Jahr 2003. Eine lange menschliche Figur mit T-Shirt und Hundekopf liegt flach ausgestreckt auf dem Rücken. Der feste Grund scheint dieser Figur entzogen, sie schwebt frei über einigen unregelmäßigen gelben Streifen. Über ihr baumeln zwei Telefonhörer, die von einer verschachtelten Konstruktion herabhängen, In dieser sind zwei Silhouetten auszumachen. Durch die verunklärenden Nebel um die Figuren steigert Fischer die geheimnisvolle Dramatik des Bildes Secret“, in dem das Geheimnis und die vielen Seiten einer Person in einer polifocalen Komposition angedeutet werden.
Eine ähnlich vielschichtige, zugleich unmögliche Komposition stellt die Arbeit „Innenhof“ von 2004 dar. In steiler Untersicht inszeniert Fischer den Blick in den Himmel eines Lichtschachtes. Hier wird der Lichtschacht zur Passage. Unten drehen sich auf der grünen Wiese zwischen den Schäfchen drei Windenergieräder, links davon erscheint unvermittelt und beziehungslos eine Männerbüste. Um 180° gedreht erscheinen auf der rechten Seite abbreviaturhaft Schaulustige, die ihre Köpfe nach oben gerichtet haben. Das Bild hat mit den Kräften zu tun, mit jenen von Mensch und Natur, mit den Elementen; mit Wind und Bewegung. Nicht nur die Windkraft scheint hier gemeint zu sein, sondern im übertragenen Sinne die ewige Bewegung im Rhythmus der Zeit. Der Faktor Zeit ist somit einer der wichtigsten Parameter des Bildes, die langsame Bewegung und das kräftiges Bewegungsprinzip, die Architektur der Stadt mit ihrer Naturferne wird auf die ferne Landschaft bezogen. Die Diskrepanz von Architektur und Ort ist auch Thema in „Turm“ 2004. In der Nähe von Bern hat Pierre Fischer auf der Durchreise einen Ort passiert, in der die zauberhafte Schönheit jäh durch einen Hochhausturm zerschnitten ist, der direkt neben der Autobahn aufragt, die gleichfalls die Szenerie zerteilt. Die Wahrnehmung wird dabei schon in Echtzeit auf eine harte Probe gestellt und vom Künstler im Gemälde durch die Einbeziehung eines entwurzelten, für sich agierenden Bildpersonals noch gesteigert.