Ihre Arbeiten haben immer nur ein Thema, den Menschen in seiner Vielfalt und seiner Vielsichtigkeit. Annette Schröter ist das, was man im Jargon eine Vollblutmalerin nennt: eine Künstlerin, die aus ihrer Farb- und Formphantasie heraus lebt und die über ganz erstaunliche Ausdrucksmittel verfügt. Ihre Erfindungen sind von ihren Bildern abgelöst nicht vorstellbar, taugen nicht als ikonografische Substrate, denen eine Hülle überworfen werden könnte. Das Inhaltliche, das es bei ihr im Überfluss gibt, ist viel mehr Frucht eines spezifisch bildnerischen Denkens, das entlehnte Motive sogleich in individuelle Form verwandelt und das Inhalte hervorbringt, indem es ästhetische Fakten setzt.
Es gibt keinen Zweifel, daß die Bilder der Annette Schröter bedeutungsvolle Botschaften von subjektiven Lebenserfahrungen übermitteln: von Enttäuschungen und Erwartungen, Ängsten und Projektionen, Realitätsbegegnungen und Phantasien.
Die Vorliebe für die Serie und für die Variation hat bei Annette Schröter ihren Ursprung sicherlich nicht nur im hartnäckigen Bemühen um ein Problem, sondern auch in der schieren Lust am Malen.
Schwer zu sagen ist, was hinter der Neigung steht, innerhalb einer Komposition Figuren und Motive zu wiederholen oder durchzuklinieren. Auf dem Gemälde »Die Glut« von 1990 versuchen drei Frauen, mit ihren geschürzten Röcken die Wärme eines glühenden Holzstapels einzufangen; auf dem Gemälde »Sonntagskinder« von 1993 sitzen drei kleine Mädchen eher hilflos inmitten üppiger Vegetation; auf der Komposition »Sieben« von 1993 sind es gleich sieben blaugekleidete Frauen mit Blumentöpfen und Zweigen, die sich der Betrachterin und dem Betrachter wie ein Tabelau vivant präsentieren; auf dem Gemälde »Gute Stube« von 1994 beschäftigen sich zwei Kinder, von einem dritten beobachtet, mit einem Schnurspiel; die Serie mit dem Titel »Reise nach Berlin« von 1995 führt auf drei formatgleichen Leinwänden verschiedene Schlafhaltungen eines Mannes vor, den wohl der Zufall zum Abteil-Gegenüber der Künstlerin gemacht hat. Die letztgenannte Folge ließe sich im Sinne einer durch Schauneugier inspirierten Alltagsreportage erklären, und auch andere Darstellungen haben erzählerische Züge und bieten entsprechende Ansatzpunkte für die Interpretation. Es versteht sich, dass Inhaltsschichtungen dieser Art ein entsprechend differenziertes Verhältnis zu den Anregungsquellen voraussetzen. Die Künstlerin sucht immer wieder Kontakt mit der Wirklichkeit, lässt sich von Zufallseindrücken des täglichen Lebens anregen, von Darstellungen, die ihr die Massenmedien zuspielen, und von fremden und selbstgefertigten Fotografien. Was sie aus alledem macht, ist aber weit mehr als ein Gemenge: Es ist ein faszinierender Ausschnitt aus dem Großen Welttheater, als das sich die Realität für Annette Schröter darstellt.
Biografie
1956 in Meißen geboren
1977 – 1982 Studium der Malerei an der Kunsthochschule in Leipzig bei Prof. Bernhard Heisig
1985 Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland zusammen mit dem Fotografen Erasmus Schröter
1986 Elysèe-Preis für Malerei
1988 – 1990 Lehrauftrag für figürliches Zeichnen an der FHS Hamburg, Abteilung Gestaltung
1992 Gastprofessur für Malerei an der Sommerakademie »Pentiment« in Hamburg
Annette Schröter lebt in Hamburg-Altona